Solidarität: Eine Front des Friedens, der Demokratie und des Fortschritts

Der Schock, den der Sturz der Allende-Regierung und der Terror der Militärdiktatur weltweit auslösten, führte nicht zu Stillstand, sondern zu ver­stärkter internationaler Solidarität. Auch in Öster­reich kam es sofort zu Demonstrationen und Stellung­nah­men verschiedener Personen und Grup­pen. Das Inter­esse und Engagement für fortschrittliche Bewegungen in Afrika, Asien und Lateinamerika nahm als Solidari­täts­arbeit für Chile eine besondere Gestalt an.

Wenige Wochen nach den ersten Demonstrationen im September 1973 trafen sich Vertreter_innen sozialis­tischer, kommunistischer und christlicher Lager, um die künftige Vorgangsweise zu besprechen. Unter diesen Aktivist_innen waren auch Sigrun und Herbert Berger, die selbst in Chile vor den Pinochet-Schergen in die österreichische Botschaft hatten flüchten müssen und nun nach Wien zurückgekehrt waren. Aus dieser Initiative wurde eine Struktur geschaffen, die am 20. Juli 1974 – den Verein „Chile-Solidaritätsfront“ (CSF) hervorbrachte.

Der Name evozierte bereits jene Volksfront-Idee – also einen parteiübergreifenden Abwehrkampf gegen den Faschismus seit den 1930er Jahren –, die in Chile so wichtig war und die auch die CSF auszeichnete. In Österreich, wo der Antikommunismus oberstes Gebot aller anderen Parteien war, arbeiteten Sozialdemo­krat_innen, linksbewegte Christ_innen und Kom­munist_innen zusammen. Natürlich mussten dafür Widerstände in den Parteivorständen überwunden werden, doch letztlich setzte sich dieser Ansatz durch, der ja auch den Geist der Unidad Popular in Chile widerspiegelte.

Gemeinsam mit der chilenischen Diaspora widmete sich die Solidaritätsbewegung mit beeindruckendem Einsatz der Informationsarbeit durch Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen; dem Sammeln von Mitteln für verfolgte Chilen_innen in Chile und im Exil; und dem Aufbau politischen Drucks innerhalb der Parlamentsparteien und in der Öffentlichkeit, wenn wirtschaftliche Interessen von Unternehmen und des österreichischen Staates zu einer Annäherung an das Pinochet-Regime zu führen drohten. Letzteres war ein ständig zu beobachtendes Phänomen, gegen das immerhin manch wichtiger Erfolg errungen werden konnte: so etwa 1980 die Verhinderung des Exports österreichischer Panzer nach Chile, der schon beschlossene Sache gewesen war. Auch der weltweite Hungerstreik, um die Freilassung politischer Ge­fangener in Chile zu erreichen, wurde hierzulande mitgetragen – im Wiener Amerlinghaus traten zahl­reiche compañeras und compañeros in Hungerstreik.

Eine besonders wichtige Funktion der CSF, anderer Solidaritätsgruppen sowie engagierter Einzelpersonen war die Hilfe, die sie den geflohenen Chilen_innen selbst boten. Sei es bei der Unterstützung bei Amts­wegen, in Fällen der Familienzusammenführung, bei der Erleichterung der schwierigen Lebensumstände in Flüchtlingsunterkünften, auf dem Bildungsweg der Kinder und in vielen anderen Belangen – sie waren zur Stelle.

Formal waren die Vereinsmitglieder der CSF ver­schiedene Organisationen, darunter zum Beispiel der KZ-Verband, der Verband der Spanienkämpfer, der Bund Sozia­lis­tischer Freiheitskämpfer, die Sozialis­tische Jugend, die Kommunistische Jugend oder die Katholische Arbeiterjugend.

An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass Solidaritätsarbeit nicht auf die Arbeit der CSF beschränkt war, sondern auf unterschiedlichen Ebenen stattfand. Die politischen Parteien des Bünd­nisses der Unidad Popular hatten auch im Exil ihren Fortbestand und folgten ihren eigenen (statutarischen) Strukturen. Ebenso seien hier weitere Chile-Solidari­täts­gruppen erwähnt, wie das Chile-Komitee, Sozialis­ten für Chile, Christen für Chile, das Mapuche-Komitee und das Komitee zur Unterstützung der FPMR und viele andere Gewerkschafts- und Bildungsor­ganisa­tionen, die bei den unzähligen Solidaritätsabenden mitwirkten und ihre jeweils eigene politische Agenda hatten. Einen besonders wichtigen Beitrag in der Solidaritätsarbeit leisteten auch Musikgruppen – anfänglich vor allem Arauco und Ranqui-l, die bei zahlreichen Veranstaltungen die politischen Lieder von Víctor Jara, Violeta und Isabel Parra wiedergaben und so wesentlich bei der Mobilisierung halfen.

Aus diesem breiten Einsatz und nach dem Beispiel der CSF entstanden später ähnliche Solidaritätsgruppen für Volksbewegungen in Nikaragua, El Salvador, Guatemala und anderen Ländern. Chile stand am Anfang dieser Entwicklung, die für die Verbindung Österreichs mit dem Globalen Süden abseits von Staatsdiplomatie und Geschäftsinteressen eine so wichtige Bedeutung hatte. Diese Dimension der Chile-Solidarität ist ein europäisches, ja ein globales Phänomen, das die Grenzen zwischen Globalem Norden und Süden ebenso überschritt wie jene zwischen dem Osten und Westen des Kalten Krieges.

Bei den Veranstaltungen, die 2023 des fünfzigjährigen Exils gedachten, wurde auch diese Dimension als solidarische Verflechtungsgeschichte gewürdigt, deren österreichische Protagonist_innen für die vertriebenen Chilen_innen und ihre Kinder verlässliche Unter­stützung boten und eine Brücke in die neue Heimat bauten. Bei der Salvador Allende-Büste im Donaupark wurde eine Gedenktafel für diesen Einsatz errichtet. Diese reiht sich in ein in andere Spuren chilenischer Geschichte in Wien, unter denen die Siedlung „Macondo“ 1 in Simmering, der ebendort liegende Gemeindebau Salvador-Allende-Hof und der Pablo-Neruda-Hof in Währing besondere Bedeutung haben. Unsere Kenntnis dieser chilenischen Kartographie im Wiener öffentlichen Raum, ebenso wie jene der Solidaritäts­erfahrung, wird durch die Interviews von „Viena Chilena 73|23“ vertieft.

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1) Macondo ist ein Stück Wien, ein besonderer Teil der Stadt – vielen Menschen mit Migrationshintergrund ist Macondo aus eigener Erfahrung bekannt, während andere Wiener_innen ihn sich wohl nicht einmal vor­stel­len könnten. In einer alten Habsburger-Kaserne am äußersten Rand von Simmering befindet sich seit der Ankunft zehntausender Ungar_innen 1956 eine Flüchtlingsunterkunft. Ab 1974 wurden dort auch aus Chile Geflüchtete untergebracht und in den folgenden Jahrzehnten Menschen aus ver­schie­dens­ten Teilen der Welt. Die Chilen_innen waren es, die den Ort nach der fiktiven Stadt aus dem Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel García Márquez benannten. Denn die zahllosen kleinen und großen Dra­men, Liebesgeschichten und Streitereien im Simmeringer Flücht­lings­lager erinnerten sie an das Örtchen in dem weltberühmten Buch. Macondo ist ein zentraler Ort der chilenischen Diaspora. Dort fand für viele die erste Boden­fühlung mit Österreich statt und über viele Jahre wurden dort die wichtigen Feste und Zusammenkünfte veranstaltet. Ein exilchilenisches Fußball-Team hatte dort seinen Heimplatz. Auch wenn mittlerweile ein Schubhaftzentrum dort errichtet wurde und Wald und Wiesen des Geländes geschrumpft sind, leben bis heutige einige chilenische Wiener_innen in Macondo. In den Inter­views von Viena Chilena 73|23 kommt die Bedeutung dieses Ortes zur Sprache. Er kam mit diesem Spitznamen aus Chile. Und dann war vor der ersten Hauszeile, sagen wir mal, ein Wald. Und in dem Wald gab es eine Lichtung.